Monday, February 4, 2013

Francesca Borri: Aleppo (1)

Der folgende Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Die Autorin Francesca Borri (@francescaborri) beschreibt ihre Eindrücke, die sie in Syriens nördlicher Metropole gesammelt und mir zur Verwendung zur Verfügung gestellt hat. Ihr gilt mein Dank.

Grateful credits to Francesca for providing me her English text to translate and publish it in German. Grazie tanto.

Der gefährlichste Ort hier ist das Hospital. Das ist das erste, das man einem sagt, wenn man ankommt; wer es ruhiger haben will, sollte an der Frontlinie bleiben.

Vergiss alle Regeln und Gesetzmässigkeiten, du, der du das Land betrittst. Aleppo besteht aus Detonationen in diesen Tagen,aus Schutt, aus nichts anderem. Und wer es wagt, sich auf die Suche nach Brot, Wasser, einem Arzt zu begeben, auf den feuern die Scharfschützen. Assads Kampfjets fliegen tief über den Boden, sie zerschmettern einen förmlich mit todbringendem Wind. Und doch sind sie so unpräzise, dass sie niemals die Gegend um die Frontlinie bombardieren; sie könnten die Rebellen verfehlen und die eigenen Leute treffen.

Die Einheit der Freien Syrischen Armee, in die wir eingebunden sind, besteht aus dreizehn Mann, zwei von ihnen tragen Flip-Flops - und die anderen haben nicht immer ein gleiches Paar Schuhe an. Sie waren zu siebzehnt, drei von ihnen starben, als sie den Leichnam eines Vierten bergen wollten, der immer noch dort liegt, am Ende der Strasse. Sie haben ihr Quartier in einer Schule errichtet und jeder von ihnen trägt ein Gewehr, eine Kalashnikov, ein Messer. Ein Heranwachsender putzt im Büro des Hauptquartiers auf einem Teppich die Familienjuwelen, zwei RPG‘s und eine Bazooka. Ausser dem Captain, einem Offizier, der die Regimestreitkräfte vor sechs Monaten verlassen hat, sind sie allesamt siebzehn bis achtzehn Jahre alt. Alaa ist Philosophiestudent, zwischen den Schichten an der Front liest er Habermas. Deserteure erkennt man leicht, sie tragen Tarnshirts, die sie aus den Regimearmeebeständen entwendet haben, die anderen tragen das Konterfei von Messi oder Che Guevara auf ihrer Brust.

Der syrische Frühling ist zum Krieg in Syrien geworden. Und die Entwicklung dahin kann am leichtesten im Unterschied zwischen der libanesischen und der türkischen Grenze erklärt werden. Beirut ist der Untergrundhimmel der bemerkenswertesten Aktivisten, diejenigen, die alles auf die Beine gestellt haben, Protest für Protest, Treffen für Treffen - und deren Revolution nun konfisziert worden ist. Sie halfen Journalisten nicht nur über die Grenze, sondern vor allem auch, die Ansprüche und Gründe derer zu verstehen, die sich dem Regime entgegenstellen. Heutzutage ist die Grenze zum Libanon unzugänglich. Auf der anderen Seite öffnete sich die Grenze zur Türkei, die Rebellen verwalten das Grenzkontrollbüro, man betritt Syrien, indem man über eine Fußmatte mit dem Porträt Assads läuft. Wie auch immer, das neue Syrien, dessen selbsternannte Sprecher sie sind, ist Terra Incognita. Es ist schwierig, mit ihnen über Politik zu reden. Sinnlos, sich nach UN-Beobachtern, Islam, Sunnis, Alawis zu erkunden. Hier geht es darum, 500 US$ zu bezahlen; ausländische Korrespondenten sind das Geschäft des Tages - das ist die Gebühr für eine Touristentour in ein Aleppo unter Beschuss.

Theoretisch handelt es sich um vier Frontlinien. Doch in Wirklichkeit gibt es nur eine einzige Frontlinie, nämlich zwischen der Erde und dem Firmament. Und wer ausser Kugeln und Messern den Kampfjets nichts entgegenzusetzen hat, dem bleibt kein Ausweg. Ohne Intervention von aussen kann die FSA nicht die Oberhand gewinnen. Und doch schafft sie es bis heute, den Kampf nicht zu verlieren.

Es geht in diesen Tagen in Aleppo darum, die Stellungen zu verteidigen. Kein Schritt vorwärts möglich. Die Stadt ist von Scharfschützen und Blut übersät, während die Bombardierungen von oben weitergehen. Die Karte an der Wand des Büros im Hauptquartier erinnert einen an ein Zeichenlabyrinth, in dem man den richtigen Weg von A nach B finden muß, nur dass hier zwischen A und B noch dutzende Familien leben - und dies ist die Karte, die die Scharfschützen markiert. Innerhalb einer halben Stunde werden drei Leichen beim Shifa-Hospital abgeladen, eine von ihnen die eines achtjährigen Kindes. Direkt draussen der Fußabdruck eines Kampfjets, gestern am frühen Abend, zwei Meter tief. Um der Bevölkerung Mut zu machen, kurven die Rebellen auf Pick-Ups herum, die mit Doshkas dekoriert sind; es handelt sich dabei um ein MG-Placebo, dessen Effekt auf einen Kampfjet einer Erbsenpistole gleichkommt. Und um die restliche Welt zu ermutigen, ihre Unterstützung zu gewinnen, schleppen sie Journalisten an die Frontlinie, direkt zu den unsichtbaren Schützen. Zu dritt, viert verstecken sie sich an den ersten Kreuzungen, hundert Meter davor. Und dann rennen sie blindlings feuernd durch die Strassen. Hin und her. Manchmal, im Eifer des Rambo-ähnlichen Gefechts, vergessen sie, ihre Waffen nachzuladen.

Es gibt keine Regeln in Syrien. Bomben auf die Zivilbevölkerung, Moscheen, die in militärische Einrichtungen umfunktioniert wurden. Kalashnikovs in Krankenwägen, Rebellen in Regimearmeeuniformen. Regimeeinheiten ohne Uniform. Und dieses Camp sieht mehr wie eine besetzte Schule als wie ein Armeeposten aus. Die Rebellen diskutieren alle zehn Minuten. Wer kochen soll, wie man den nächsten Häuserblock einnimmt. Welche Taktik anzuwenden ist. Du hast mir meine Schuhe weggenommen, nein, du hast mir meine Decken entwendet. Und das ist nicht bloß der Mikrokosmos dessen, was sich innerhalb der verschiedenen bewaffneten Einheiten abspielt, das ist generell das, was sich innerhalb der Oppositionsbewegung wie ein roter Faden durchzieht. Es gibt hier weder einen einheitlichen Führungsstab noch eine einheitliche Strategie. Weder unter den Zivilisten noch unter den Kämpfern. Und das ist die derzeitige Stärke Assads, mächtiger als jedes Waffenarsenal; die Gespaltenheit der Bevölkerung.

In der Schule hängen inmitten der Waffen ein paar Kinder herum. Ahmed ist sechs Jahre alt. Heute werde ich dir beibringen, wie man ein wahrer Syrer wird, sagt ihm der Captain. Ein freier Syrer. Er drückt ihm sein Gewehr in die Hände und lässt ihn in die Luft feuern in dieser engen Strasse, gesäumt von achtstöckigen Gebäuden, deren Fenster bereits zuhauf zerborsten sind. Ein weiteres geht zu Bruch. Eine junge Frau rennt angsterfüllt die Treppen runter, die Kugel ist in ihrer Küche eingeschlagen. Sie greift nach meinem Stift und meinem Notizblock. Was für ein Syrien wird erwachsen aus Männern wie diesen, schreibt sie und versteckt sich unten im Haus.

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